Atmosphärische Abstraktionen in Form & Farbe
Sebastian Richters künstlerisches Schaffen ist ein Suchen und Erspürens des Innerlichsten eines Momentes und eines Motives in ihrer essenziellen Beschaffenheit. Wichtige Insiprationsquellen sind ihm dabei die künstlerischen Abstraktionsbewegungen des 20. Jahrhunderts.
Viele der Motive seines graphischen wie malerischen Werkes entstanden auf Reisen mit der Familie nach Spanien, Griechenland, Frankreich, Italien, Dänemark, Australien, aber auch im schleswig-holsteinischen Alltag in familiären Situationen. Tagebuchartigen Eintragungen gleich speichern diese Reise- und Alltagsskizzen die „Momente des Glücks“ und den atmosphärischen Geist einer Landschaft.
Mit sicherem Blick entdeckt das Künstlerauge die Schönheiten im zunächst womöglich prosaisch erscheinenden Motiv. Es erfasst die maßgeblichen Komponenten einer Szenerie und fokussiert sich auf die markanten Liniaturen eines Motives. So finden sich Lesende, Badende, sich sportlich Betätigende bei Beachvolleyball, Snowboarding, und olympischen Sportarten.
In einer Sprache, die in ihrer Ausdrucksform an die Kunst der ersten und zweiten Moderne anknüpft und Assoziationen zu abstraktem Expressionismus, Pop Art, Minimalismus aufweist, blickt der Künstler auf zunächst prosaisch erscheinende Alltagsgegenstände. Für sich allein oder auch in ihrer Konstellation werden diese zu einem malenswerten Sujet, welches Richter im kleineren wie im großen Format beherrscht. Einem Rasierpinsel, Segelschuhen, einer Nordseemuschelsammlung, einem aufgeräumter Klapp-Sonnenstuhl, einem leuchtend blauen Badehandtuch und einem temporär abgestellten, fröhlich-bunten Kinderfahrrad gilt die künstlerische Aufmerksamkeit im Bestreben, das Atmosphärisch-Charaktervolle motivisch abstrahierend herauszuarbeiten und festzuhalten.
Das Thema der Landschaft fügt sich konsequent und durchgehend in das Oeuvre Sebastian Richters ein. Immer wieder findet sich der Ausblick auf Lanschaftsszenerien, teils von genrehafter, teils von atmosphärisch überblickender und abstrahierender Qualität. Gerade in den Werken der ersten zehn Jahre lässt sich eine intensive Auseinandersetzung mit der expressionistischen Malweise ausmachen. So beispielsweise, wenn plötzlich der klobige Kubus einer feurig roten Scheune in der großzügig malerisch und intensiv farbig angedeuteten Landschaft Langelands seine Position behauptet. Oder wenn eine in ihrer Silhouette umrissene Frauenfigur auf einem blauen Sofa liegend in einem sattroten Wollpullover mit farbiger Musterung beim Buchlesen beobachtet wird. Besonders in seinem graphischen Werk spielt der Künstler in dieser Phase mit dem Blick und der Wahrnehmung der/ des Betrachtenden auf Haupt- und Hintergrundmotiv, wie man es beispielsweise bei Antje barbusig lesend (1991) ausmachen kann.
Farbe wird atmosphärisch wie leitmotivisch und blicklenkend eingesetzt. Immer wieder taucht eine leuchtend rote Thermoskanne in der auf Langeland entstandenen Serie auf. Bei anderen Motiven werden die markanten Komponenten zügig mit Fineliner oder bisweilen auch mit Edding skizziert, förmlich „herauskristallisiert“. Sodann werden teilweise kompositorisch einzelne Details mit Farbe akzentuiert, wodurch eine Spannung und Plastizität entstehen. So bei der Reihe von Graphiken mit Segelbooten auf dem Wasser (EM 49er, Nacra 17, August 2017), die fast wie Abbreviaturen in ihrem charakteristischen Erscheinungsbild erfasst und durch Buntstift farbig ergänzt werden. Nicht ohne leises Schmunzeln mag man an den Blick durch die mit Regentropfen bedeckte Scheibe des Campingbusses denken, während draußen leuchtend markant farbig der Danebrog zu sehen ist (Blick auf dänische Flagge aus dem Campingbus bei Regen heraus, Sommer 1999). Im unteren Bereich der Zeichnung findet sich ein kurzer Kommentar über die wetterbedingte Unzufriedenheit einer der beiden Söhne. Sowieso lässt uns der Künstler sehr unmittelbar an seinem Leben teilhaben. Auf allen Graphiken, die parallel zu Acrylgemälde entstehen und teilweise als impulsgebende Skizzen auszumachen sind, ist ein genaues Datum gut sichtbar, meist im Kopfbereich, beigefügt. Seltener finden sich zusätzliche kurze, autobiographische Anmerkungen über Ort oder Stimmung.
Überblickt man das Oeuvre der vergangenen dreißig Jahre wird deutlich, wie Sebastian Richter zunehmend mit Farbe, Material und Technik einer konsequenten Abstraktion von Form, Farbe und Linie zustrebt. Teils in experimenteller Weise lotet er technische wie farbästhetische Möglichkeiten in ihrer auratischen Wirkung aus, wie es in der Serie Farbfeld - III (2016) oder auch in der Reihe mit Sportlern am Strand (2003) stattfindet, wo in die Farbe Sandkörner beigemengt werde.
Besonders anschaulich zeigt sich die Abstraktionstendenz in den Serien aus den Jahren 2000-2010, die sich mit dem Ausblick auf Landschaften beschäftigen. Zunächst in graphisch-markanter Formsprache und klarer, großflächiger Farbgebung das Dargestellte im gewählten Bildausschnitt greifend, dann ganz auf die Sinnesebene gehend, weiter in geometrischen aneinandergesetzten farbigen Flächen die klimatische wie geographische Stimmung einfangend und in kristalliner Form die Magie ihres Ortes speichernd. Es ist ein sinnliches Spiel aus Licht, Form und Farbe, welches sich zehn Jahre später nochmal in der Serie von Collagen aus farbigem Papier verdichtet. Hier wurden plain air in mediterraner Umgebung einzelne Seiten aus örtlichen Illustrierten ausgewählt, geometrisch formiert und aus der jeweiligen Stimmung von Tageszeit und Landschaft heraus zu abstrakten Farbfeldern unterschiedlicher Größe zusammengefügt. Diese Collagen speichern, wenn man genau schaut, nicht nur die situative Stimmung ihres Inspirationsortes, sondern tragen in sich Plastizität und zeitgeschichtliche Situation, da der Druck auf der Rückseite schemenhaft erkennbar und phantasieanregend hindurchschimmert.
Mit dem zusehend abstrakt-atmosphärischen Erfassen der Landschaft geht auch eine zunehmend reduzierende Auffassung von Sujets des Alltags und aus Urlaubssituationen einher. Nunmehr werden scherenschnittartig einzelne Figuren in monochromer Farbgebung auf die Leinwand gesetzt und eine atmosphärische Szenerie aus einem minimalistischen farblichen kontrastreichen Zweiklang geschaffen. Die Raumstruktur wird geschickt durch Größenunterschiede und eine Verteilung der einzelnen Silhouetten auf der Leinwand evoziert. Das Dargestellte erhält einen fast ikonischen, überzeitlichen Charakter. So exemplarisch zu finden in dem großformatigen Gemälde Die Badenden I (Mallorca 2016).
In seinen jüngsten Arbeiten der vergangenen zwei Jahre widmet sich der Künstler wieder ganz dem Sujet der Figur und des Porträts, teils in akademischer Motivauffassung. Es finden sich Posen, die an klassische Aktmalerei oder auch an ikonische Themen der Kunstgeschichte anknüpfen, wie zum Beispiel das der Drei Grazien. In der ihm eigenen Art fasst Richter die essenziellen Formationen der menschlichen Körper und der Situation und hält diese in ihrer graphischen Reduktion von fast neoklassizistischem Linienspiel dennoch malerisch fest. Ihn interessiert „das Pure“ eines Motivs, atmosphärisch aufgeladen durch die Dimension der Farbe, die in den jüngsten Arbeiten souverän und geschickt akzentuierend wie rhythmisierend eingesetzt wird.
Sebastian Richters Kunst bietet ein gekonnt virtuoses Spiel mit Linie, Fläche und Farbe, in welchem er Motive voller spannungsvoller Atmosphäre erschafft. In einem Dialog mit Ikonen der Moderne (Henri Matisse, Joan Miró, Pablo Picasso, Ernst Ludwig Kirchner, David Hockney, Keith Haring, Imi Knoebel, Katharina Große, um einige zu nennen) findet er zu einer künstlerischen Sprache, die weit über das Situativ-Motivische und Atmosphärische hinaus geht. Vor dem Betrachtenden entblättert sich ein intensives Geflecht aus philosophischer Weltsicht, autobiographischer Perspektive, atmosphärischer Essenzialität und der Erkenntnis für das Charaktervolle wie Charakteristische vor der steten Konstante der Kunstgeschichte.
Almut Rix im August 2020.